Als Projektbetreuerin hat Ursula Müller eine der ersten Baugemeinschaften Deutschlands begleitet. Sie sieht in Baugruppen ein wichtiges Instrument zur Stadtentwicklung. Ob ein Bauprojekt gelingt, hängt jedoch stark von der Zusammensetzung der jeweiligen Gruppe ab.
Frau Müller, als Projektbetreuerin haben Sie viele Jahre Baugemeinschaften begleitet – unter anderem MaxAcht in Stuttgart. Wie sind Sie persönlich zum Thema Baugemeinschaften gekommen?
Ich hatte 2003 Kontakt zum Architekturbüro Lehen Drei – das ist kein ganz unbekanntes Büro – zumindest hier im Südwesten Deutschlands. Lehen Drei hatte damals den städtebaulichen Wettbewerb für das Französische Viertel in Tübingen gewonnen. Das war in Tübingen der Auftakt für Baugemeinschaften. Ich bin als Projektbetreuerin in die erste Tübinger Baugemeinschaft mit eingestiegen. Die Stadt ist für mich neben Freiburg der Anfang der Baugemeinschaftsentwicklung in Deutschland.
Wie kam es dazu, dass Tübingen Baugemeinschaften unterstützt hat?
Die Grundstücke im sogenannten Französischen Viertel ließen sich damals nicht an Bauträger verkaufen. Das lag daran, dass das Quartier durch eine Schnellstraße vom Rest der Stadt abgeschnitten war. Für Bauträger war das unattraktiv. Es gab dann einzelne Privatpersonen, die auf die Politik zugegangen sind und vorgeschlagen haben, diese Grundstücke an private Baugruppen zu verkaufen. Diesem Vorschlag ist die Politik gefolgt und hat darüber Baugemeinschaften als Instrument zur Stadtentwicklung für sich entdeckt. Das war in den 90er Jahren. Tübingen und auch Freiburg haben relativ früh verstanden, dass Baugemeinschaften ein Instrument sein können, Menschen ohne die üblichen Bauträger-Margen ins Eigentum zu bringen.
Welchen Vorteil haben Baugemeinschaften aus Ihrer Sicht für eine Stadt?
Durch Baugemeinschaften entsteht eine andere Art der Quartiersentwicklung. Im Französischen Viertel in Tübingen gab es beispielsweise die Vorgabe, dass die Erdgeschosszonen mit Gewerbe belegt werden müssen. Das macht ein Quartier lebendig. Es war später oftmals nicht leicht, einen Käufer oder Mieter für diese Flächen zu finden, aber diese Durchmischung ist nach meinem Dafürhalten ein ganz wichtiges Instrumentarium. Dazu kommt, dass es sich bei Baugruppenmitgliedern oftmals um Menschen handelt, die sich aktiv in ihrem Viertel engagieren.
Welche Rolle spielen Baugemeinschaften auf dem deutschen Wohnungsmarkt?
Schön finde ich es immer, wenn es mithilfe von Baugruppen gelingt, Menschen ins Eigentum zu bringen, denen das sonst oft nicht möglich wäre: Alleinerziehenden zum Beispiel. Bei vielen Baugemeinschaftsprojekten gibt es Förderquoten, die erfüllt werden müssen, das finde ich sehr sinnvoll.
„Durch Baugemeinschaften entsteht eine andere Art der Quartiersentwicklung.“
Ursula Müller, Projektentwicklerin in Stuttgart
Heute betreuen Sie selbst keine Baugemeinschaften mehr. Warum nicht?
Meine letzte Baugruppe war MaxAcht, das war ein sehr erfolgreiches Projekt und einfach ein super Abschluss für mich. Das Haus wurde mehrfach ausgezeichnet, weil es so nachhaltig ist.
Was eine Baugemeinschaft für mich auszeichnet ist, dass die Gruppen es schaffen, ihre persönlichen Befindlichkeiten aus der Gruppendynamik weitgehend herauszuhalten. Das war für mich auch der Grund, warum ich ausgestiegen bin. Bei MaxAcht hat das gut geklappt, aber bei anderen Gruppen zuvor nicht. Da gab es ein hohes Potential an Unstimmigkeiten und Unzufriedenheiten und das hat es oft sehr anstrengend gemacht.
Warum hat das bei MaxAcht gut geklappt?
Die Gruppe hat sich selbst über einen Sportverein gefunden und dann sukzessive neue Mitglieder aufgenommen. Ganz wichtig war, dass neben den oft anstrengenden Baugemeinschaftssitzungen immer auch private Treffen und Veranstaltungen stattgefunden haben. Das hat die Gruppe zusammengeschweißt. Jede Arbeitssitzung haben wir auf maximal zwei Stunden begrenzt – länger hält das ja keiner aus (lacht). Natürlich gab es auch mal Unstimmigkeiten innerhalb der Gruppe, aber die ließen sich immer auf der Sachebene lösen. Auch das ist ein ganz wesentlicher Punkt.
Ursula Müller – vielen Dank für das Gespräch.

Ursula Müller arbeitet als selbstständige Projektentwicklerin. Ihr Büro Stadtformen hat seinen Sitz in Stuttgart. Müller hat viele Jahre Baugruppen in Tübingen, Köln, Pforzheim und Stuttgart betreut. Sie ist Gründungsmitglied des Bundesverbands Baugemeinschaften und war von 2008 bis 2014 Mitglied in dessen Vorstand.

